Sunniten, Schiiten, Drusen, Maroniten, Melkiten, griechische und syrische Orthodoxe, Chaldäer, Armenier, Lateiner und Protestanten, um nur einige zu nennen, lebten und leben in mehr oder weniger gelungener Koexistenz, die nur zeitweise – und dann oft durch äußere Einwirkungen wie im Bürgerkrieg von 1975-1990 – heftig gestört wurde. Doch die meiste Zeit funktioniert das Zusammenleben und prägte seine Bewohner. Es formte sie zu offenen, toleranten und gastfreundlichen Menschen, die sich bemühen, ihre Unterschiede zu akzeptieren und voneinander zu lernen, statt einander zu bekämpfen, denn jede der im Libanon lebenden Gruppen ist eine Minorität, und in jedem Libanesen steckt ein Maronit, ein Sunnit, ein Druse usw.
Die kollektive leidvolle Erfahrung des letzten Bürgerkrieges bestärkt die Libanesen darin, nicht mehr das Trennende, sondern das Gemeinsame zu suchen und niemanden zu marginalisieren. Sie streben eine Einheit in der Vielfalt an, eine Konkordanzkultur, in der alle konstituierenden Teile einen gleichwertigen Platz haben.
Das ist in diesem Land umso leichter, da es durch Jahrhunderte langes Zusammenleben zu einer Konvivialität und Akzeptanz des anderen gekommen ist. Besonders hilfreich ist dabei, dass die führenden und großen Familien des Landes nicht selten aus unterschiedlichen Konfessionen bestehen. Ein typisches Beispiel dafür ist der ehemalige Minister Marwan Hamade, der am 14. März 1987 vor dem französischen Senat in Paris sagte: „Ich bin Druse wie mein Vater, meine Mutter ist Katholikin, ich bin mit einer sunnitischen Muslima verheiratet und habe einen orthodoxen Schwager.“
So ist der kleine Libanon ein Experimentierfeld für ein Zusammenleben verschiedener Religionen im Allgemeinen und für den Dialog zwischen Christentum und Islam, zwischen Orient und Okzident im Besonderen. Die Erfahrungen des Libanon könnten pluralen Gesellschaften als Modell dienen für ein friedliches Zusammenleben, wie es Vaclav Havel 1997 bei seinem Besuch im Libanon feststellte: „Ich bin überzeugt, dass der Libanon ein Modell der Koexistenz zwischen Bürgern unterschiedlicher Überzeugungen und Religionen sein kann, die eine gemeinsame staatsbürgerliche Verantwortung eint.“
Khalil Gibran, der libanesische Dichter und Maler, in dessen Stammbaum es sowohl Christen als auch Muslime gibt, schreibt: „Ich bin Christ, und ich bin stolz, es zu sein. Dennoch liebe ich den arabischen Propheten, und ich berufe mich auf die Größe seines Namens. Ich schätze die ruhmreichen Taten des Islam.“